Umweltgerechtigkeit – Wieso, Weshalb, Warum?
- 16. März 2021
- Dialograum
Umweltgerechtigkeit - Wieso, Weshalb, Warum?
Wenn ich mich mit Leuten außerhalb von Berlin über die Stadt unterhalte höre ich manchmal:
„Berlin ist laut, zu viel Verkehr, es stinkt, überall Partys und Demos und niemand hat einen richtigen Job. Kaum Grün und endlose Häuserblöcke, die sich unerträglich im Sommer aufheizen und im Winter bläst es kalt durch die Häuserschluchten. Wie kann man nur da leben?!“
Ok – das war zugegeben etwas zugespitzt. Und oftmals haben die Leute schon eine differenziertere Sicht. Und da ich nun schon eine Zeit in Berlin lebe, weiß ich es natürlich besser: Es gibt durchaus viele Parks und Grün, Oasen der Ruhe, interessante und sehr lebenswerte Quartiere. Und überhaupt fühle ich mich doch sicher in der Stadt.
Aber natürlich gibt es sie: Die Probleme, die eine Stadt wie Berlin mit sich bringt. Und jedem fallen sicherlich auf Anhieb fünf Ecken in der Stadt ein, in denen man nicht gerne wohnen würde oder sie sogar meidet.
Die Umweltgerechtigkeit bietet einen Rahmen, diese Orte genauer und sachlich zu identifizieren. Sie ist ein Orientierungsrahmen, der Umwelt-, Gesundheits- und soziale Aspekte berücksichtigt. Sie fasst problematische Umweltfaktoren zusammen und bündelt sie in Karten, damit auf dieser Basis adäquat gehandelt werden kann.
In Berlin schaut man auf 5 Kernindikatoren: Lärmbelastung, Luftbelastung, Grünversorgung, Bioklima und soziale Problematik – womit viele der oben genannten Probleme abgedeckt werden. Eine genaue Beschreibung der Indikatoren findet man auf den Seiten der SenUVK (https://www.berlin.de/sen/uvk/umwelt/nachhaltigkeit/umweltgerechtigkeit/). Außerdem werden alle Indikatoren zu einer Gesamtbelastung zusammengefasst, sodass man sehen kann, wo es besonders problematisch ist. Wer wissen möchte, wie es vor-Ort aussieht findet die jeweiligen Karten auch im Berliner Umweltatlas. (https://www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/umweltatlas/k901.htm)
Und wie sieht es nun in Schöneberg-Nord aus?
Im Schnitt ist das Quartier dreifach belastet. Besonders bedenklich dabei ist die Luftbelastung und die sommerlichen Hitzeinseln, bei gleichzeitig schlechter Grünflächenversorgung.
Auch Lärm und soziale Aspekte spielen eine Rolle.
Allerdings gibt es hinsichtlich des Lärms lokal starke Unterschiede. In den Seitenstraßen ist es ruhiger als an den Hauptverkehrsstraßen. Der massive Verkehr zum Beispiel entlang der Hauptverkehrsachsen (Potsdamer Straße und Bülowstraße) belastet vor allem die direkt anwohnenden Menschen. Untersuchungen belegen, dass viele Menschen, die an Hauptstraßen leben, häufig auch geringe Einkünfte haben. Diese sind also mehrfach gestresst. Lärm verursacht langfristig Herz Kreislauf Probleme und Schlafstörungen. Berlinweit sind 664. 500 Menschen tagsüber durch Lärm belastet und an den Hauptverkehrsstraßen herrscht für 334.500 Anwohnende nachts auch nicht ausreichend Ruhe. Dort liegt der Lärmpegel ständig oberhalb der gesundheitsrelevanten Schwelle von 55 dB(A).
Es besteht also akuter Handlungsbedarf – sowohl lokal als auch berlinweit. 1,5 Mio Menschen in Berlin leben in einem mehrfach belasteten Wohnumfeld wo Autoabgase, Lärm und Beton zu gesundheitlichem Stress führen. Gerade lernen wir, dass Corona dort besonders stark wütet, wo Menschen durch Vorbelastungen geschwächt sind. Weniger Autos durch z.B. mehr Mobilitätsalternativen und eine bessere Fahrradinfrastruktur können den motorisierten Verkehr und Lärm reduzieren.
Und was denkt ihr? Was müsste im Quartier genau getan werden?
Dass Handlungsbedarf besteht, bekräftigten auch die Teilnehmenden des ersten Berliner Kongresses zur Umweltgerechtigkeit im Januar 2020 im Schöneberger Rathaus. Die Konferenz wurde vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg (Dezernat der Stadträtin Christiane Heiß) mit dem BUND Berlin und der Deutschen Umwelthilfe veranstaltet. Gemeinsam unterzeichneten sie die „Schöneberger Erklärung zur Umweltgerechtigkeit“, in der sie Grundsätze und Handlungsempfehlung auf Berlin und Bezirksebene festhalten (https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Projektinformation/Kommunaler_Umweltschutz/Umweltgerechtigkeit/Veroeffentlichungen/Sch%C3%B6neberger_Erkl%C3%A4rung_fin2021_.pdf).
Sie fordern auf Senats- sowie auf der Bezirksebene ein geeignetes integriertes Monitoringsystem, welches Umweltgerechtigkeit in den Quartieren regelmäßig bewertet. Danach müssen gezielte Strategien und Maßnahmen entwickelt werden, um lokal die Mehrfachbelastungen zu minimieren.
„Ein großer Vorteil der Umweltgerechtigkeit liegt in der guten Verständlichkeit. Das hilft, neben politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren, auch Bürger_innen an den Tisch zu holen“, meint Christiane Heiß, Bezirksstadträtin für Verkehr, Grünflächen, Ordnung und Bürgerdienste in Tempelhof-Schöneberg. „Das Konzept fördert die Beteiligung aller Sektoren für die Erarbeitung gemeinsamer Lösungen, da es eine gemeinsame Wissensgrundlage legt.“
Das sehe ich auch so. Als ich mir die Karten zur Umweltgerechtigkeit angeschaut habe, war mir ziemlich schnell klar wo im Einzelnen der Schuh drückt. Da nun die Datengrundlage da ist, müssen durch gemeinsamen Austausch und Erfahrungen konkrete Lösungen für alle entwickelt und umgesetzt werden. Also auf geht’s!
…und auch damit meinem nächsten Gegenüber schnell klar wird, wie l(i)ebenswert Berlin sein kann.
Quellen, Informationen und weitere Links zum Thema findet man in den Folien eines Impulsvortrags von Christiane Heiß. (https://kiezerfahren.berlin/wp-content/uploads/2021/03/Umweltgerechtigkeit_KiezErfahren_cheiss23022021-.pdf)