Feministische Mobilitätswende

Feministische Verkehrspolitik - Feministische Mobilitätswende

In unseren Artikeln aus dem virtuellem Dialograum behandeln wir sowohl Themen, die die Nachbarschaft in unserem Projektgebiet Schöneberg-Nord direkt betreffen, aber auch solche, die die Lokale Verkehrswende betreffen, die wir im Gebiet im Rahmen des Projektes Kiez erFahren diskutieren und mit verschiedenen Aktionen antriggern. 

Meines Erachtens ist Feministische Verkehrspolitik bzw eine Feministische Mobilitätswende ein Querschnittsthema. Neben einem Einblick in die Online Konferenz FRAUEN MACHEN MOBIL(-ITÄT) schlage ich Videos und Artikel zum Nachwirken vor.  

 

Das Programm des Online-Kongresses umfasste Themen wie Alltagswege in der Stadt und auf dem Land, Finanzierung von Mobilität, Fuß- und Fahrradgerechte Stadt, Transforrmation von Parkplätzen, Soziale Gerechtigkeit und Teilhabe durch Mobilität, Fahrrad als Zentrum der neuen Mobilität, …


Ich referiere die Inputs von Janna Aljets „Autofreie Städte – Utopische Spinnerei oder notwendige Realität?“ und Lisa Badum „Klima braucht feministische Mobilitätspolitik“ – aus meiner ganz persönlichen Sicht und mit unserem Projekt im Hinterkopf. 

Janna Altjets arbeitet u.a. an Themen wie Mobilitäts- und Verkehrswende // Transformation der Automobilindustrie – Klimagerechtigkeit – Sozial-ökologische Transformation // Degrowth // Postwachstum – Feminismus // Intersektionalität // Ökofeminismus. Ihre Schlussfolgerung am Ende ihres Votrages fasse ich so zusammen:


Die inklusive und feministische Verkehrswende ist eine Frage von sozialer Gerechtigkeit. Sie entscheidet auch über Zugang und Teilhabe, stellt also die Frage, wer über die Teilhabe und Flächengerechtigkeit im öffentlichen Raum bestimmt.
Um diese zu realisieren, müssen gleichermaßen Push- und Pull-Faktoren zum Einsatz kommen. Sprich Angebote einer neuen Mobilität (Sharing, Fahrrad, Fußverkehr) müssen mit ordnungspolitischen Maßnahmen (Parkraumbewirtschaftung, konsequentes Entfernen von Falschparken etc.) kombiniert werden. Und: dem Auto muss Platz weggenommen werden.

 
Doch zurück zum Beginn des Vortrages von Jane Aljets und zu zwei divergenten Publikationen aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, die sie ansprach. Diese Haltungen dokumentieren die heute noch immer herrschende Diskrepanz zwischen zwei Sichtweisen auf Verkehr, Teilhabe, Ökologie und Stadtplanung.

1959 publizierte der Architekt Hans Bernhard Reichow das Buch „Die Autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos“. Sein Erfolgsrezept zielte auf eine Stadt, die sich am motorisierten Individualverkehr orientierte. Damit bedeutete Verkehrsplanung Autozentrismus. Planung hatte sich an der Perspektive von Autofahrenden zu orientieren. Alle nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen hatten sich diesem Primat unterzuordnen.

 

Das Auto wurde der Garant von Wachstum und Wohlstand. Es symbolisierte Stärke, Dominanz, Technik, Unabhängigkeit – kurz eine „toxische Männlichkeit“.

Zwei Jahre später erschien das Buch „The Death and Life of Great American Cities“ von Jane Jacobs. Sie beschreibt vier Grundvoraussetzungen, die eine lebendige und diverse Stadt ausmachen. Sind diese erfüllt, so Jane Jacobs, erleben wir ein „neighborhood ballet“.

 

Ich zitiere nach dem Blog Parcitipatory von Laura von Puttkamer, die vor kurzem diese vier Prinzipien in ihrer eigenen Nachbarschaft in Mexico City analysiert hat. Eine Idee, die nachahmenswert ist.

  • Primary mixed uses: “The district, and indeed as many of its internal parts as possible, must serve more than one primary function; preferably more than two. These must insure the presence of people who go outdoors on different schedules and are in the place for different purposes, but who are able to  use many facilities in common.”
  • Small blocks: “Most blocks must be short; that is, streets and opportunities to turn corners must be frequent.”
  • Aged buildings: “The district must mingle buildings that vary in age and condition, including a good proportion of old ones. (…) Old ideas can sometimes use new buildings. New ideas must use old building.”
  • Density: “The district must have a sufficiently dense concentration of people, for whatever purpose they may be there. This includes people there because of residence.”

Zurück zur Konferenz
Jane Aljets argumentiert fast 60 Jahre später, dass Mobilität die Grundvoraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sei und im Rahmen von ökologischen vertretbaren Grenzen erfolgen müsse. Doch sei in einer autozentrierten Gesellschaft Mobilität vom Einkommen abhängig. Die Wege, die Frauen und die Schwächeren in der Gesellschaft häufig zurücklegten, fänden zumeist in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft statt. Deshalb sei die Diversität einer Gesellschaft in der heutigen Mobilität nicht abgebildet. Diversität sei auch nicht in der herrschenden männlichen Stadtplanung und Verkehrspolitik berücksichtigt. 

 

Lisa Badum, Klimapolitische Sprecherin der Bundestagfraktion Bündnis90/Die Grünen, fokussierte in ihrem Vortrag unter anderem den Gedanken, dass die heute noch überwiegend befolgte autozentrierte Verkehrspolitik darauf ausgerichtet sei, für männliche Vollbeschäftigte zu planen, die mit dem Auto weite Strecken zurücklegen. Doch vom Lärm und Schmutz an den Straßen seien Frauen, Kinder, soziale Schwächere am häufigsten betroffen, weil sie – während Männer diese lediglich durchbrausten – an diesen Straßen Zeit verbrächten.

 

Eine feministische Verkehrswende bedeute somit ein gender budgeting im Verkehrshaushalt. CO2-Preise seien so zu berechnen, dass diejenigen, die die Umwelt schädigen, auch dafür bezahlten. Der Bundesverkehrswegeplan müsse abwägen und berechnen, wer die zur Zeit in Planung befindlichen Autobahnen in Zukunft nutze. Die Entfernungspauschale müsse durch ein soziales, geschlechter-gerechtes, umwelt- und klimafreundliches Modell ersetzt werden.


Janna Aljets wiederum stellte die These auf, dass Politik gegen den motorisierten Individualverkehr eine Politik für sozialer Gerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit sei. Dass solch eine Politik und Planung kein Ammenmärchen sei, zeigte sie an einigen Beispielen: 

Seestadt Aspern Österreich
Kurze Wege, Menschen können sich sicher und gut zu Fahrrad und zu Fuß bewegen

Pontevedra Spanien
Autofreie Stadt

Brüssel Belgien
Vorrang für Gehende und Radfahrende

Auf ihrer Webseite beschreibt Lisa Badum ihre sozial-ökologische Vision als einen Wandel hin zu einer nachhaltigen Zukunft, in der die Transformation der Wirtschaft und besonders der Schlüsselindustrien wie der Automobilbranche einen hohen Stellenwert habe. Die könne nicht ohne Umorientierung gelingen. Das bedeute, dass die individuelle Auto-Mobilität reduziert und die Autobranche Teil des ÖPNV werden müsse. Das Ziel einer nachhaltigen Mobilitätswende sei das Gestalten eines diversen und CO2 neutralen Alltages.

Interessant war für mich auch die abschließende Reflektion der Organisatorinnen zur Vorbereitung und Durchführung der Online-Konferenz. Sie alle sind in ihrem Alltag vornehmlich in männlich dominierten Strukturen unterwegs und bemerkten, dass sich im Fall dieser Frauenkonferenz sowohl die Vorbereitung als auch die thematischen Diskussionen anders verliefen. In ihren Ausführungen waren die Besonderheiten einer feministischen Verkehrs-/Mobilitätspolitik für mich klar ersichtlich.

  • Mobilitätswende war im Fokus und nicht die Antriebsthematik.
  • Keine autodominierte Diskussion
  • Sozialpolitische Perspektiven
  • Favorisierung einer diversen Nutzung
  • Denken vom Menschen her und von der Sicherheit der Schwächsten
  • E-Mobilität war kaum Thema
  • Diskussionen über Mobilität von Kindern und Jugendlichen
  • Innovation – die männliche Variante der Lösung – Fehlanzeige

Es vorrangig um Lebensqualität, Gesundheit und Sicherheit.

Das klingt gefährlich? Ist es aber nicht. Und eine radikale Verkehrs- und Mobilitätswende muss nicht das politische Aus bedeuten.

Schauen wir nach Paris. Anne Hidalgo hob 70.000 oberirdische Parkplätze auf, schuf 60 km Fahrradwege und will die Metropole zu einer 15-Minuten-Stadt umbauen. Seit Juni 2020 ist sie erneut die Bürgermeisterin von Paris. 

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